Notwendige Anmertung

Notwendige Anmertung

Die vorliegende Ausgabe der Werke des Maistre François Vil lon bringt nur die Balladen in ziemlicher Vollständigkeit. Das „Kleine Testament (Lais) ist um neun, das „Große Testament“ (Grant Testament) um elf Strophen gekürzt worden. Ich habe jedoch nur solche Stücke fortgelassen, die der Lokalhistorie so verhaftet sind, daß man auf viele Geschchnisse und ihre Akteure sich heute keinen Reim mehr machen kann. Fortgefallen sind auch die für bürgerliche Begriffe obszönen Chansons von den „Lästerzungen“ und „Straßenhuren“. Dafür aber sind fünf- zehn, in deutscher Übertragung noch nicht bekannte, Rondos und Lieder aus dem, Jardin de Plaisance" (1502) hinzugekom men, die G. Paris als apokryph ansieht und dem Guillaume Coquillart, bzw. Jehan de Calais zuschreibt. Mit welchem Recht der verdienstvolle Literarhistoriker und große Bibliophile dem Villon die Vaterschaft streitig macht, bleibt er zu beweisen schuldig. Ich schließe mich vielmehr den Untersuchungen Co stelliers, A. Vitus und Paul Lacroixs an und benutzte auch deren bibliographisches Material neben eigenen Forschungen.

Die Anordnung der Balladen und Rondos als Teil für sich neben den beiden Testamenten geschah aus rein äußerlichen Gründen. Ein druckfertiges Manuskript von Villons Hand, worin Ordnungen nach bestimmten Gesichtspunkten ein für alle Mal festgelegt sind, existiert nicht. Was von seinen Handschrifien erhalten blieb, ist ein großer Torso, verstreut in öffentlichen und schwer zugänglichen privaten Bibliotheken; bzw. sind es Abschriften von zweiter und dritter Hand mit allen Verwässerungen, Beschneidungen und Ungenauigkeiten. Auch die frühen Drucke der Werke des Meisters bis zum Jahre 1854 sind lückenhaf, gemixt und von dem jeweiligen Geschmack der Herausgeber abhängig. Eine große kritische Textausgabe mit den Lesarten aller Varianten fehlt auch heute noch. Als ambrauchbarsten ist vielleicht dic, von A. Louis Thuasne besorgte, dreibändige Ausgabe Paris: Picard 1923 anzusprechen.

Auch ein authentisches Porträt Villons hat sich bis heute noch nicht nachweisen lassen; die bekannte Lithographie von Rull mann ist höchst anfechtbar. Der meiner Ausgabe beigegebene Stich von Eddy Smith ist einem Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert nachgebildet.

Entscheidende Anregungen zu meinen sehr freien Nachdichtungen verdanke ich dem 1913 durch Selbstmord geendeten französischen Dichter Leon Deubel und meinem Kollegen Guillaume Moland von der Herzogl. Bibliothek St. Bretaigne; in gewisser Hinsicht auch dem Herrn Wolfgang von Wurzbach, der um 1903 cine klug kommentierte Ausgabe der Werke Meister Villons in Deutschland wagte, allerdings nur im Urtext.

Im Übrigen erhebe ich mit meiner Publikation nach keiner Seite hin den Anspruch, von Philologen und mürrischen Magistern ernst genommen zu werden. Auch hat bei mir nie die Absicht bestanden, mit Herrn K. L. Ammer oder gar Bert Brecht konkurrieren zu wollen. Ich wende mich vielmehr mit meiner Arbeit an Menschen, denen es darauf ankommt, den Vilon wenigstens annähernd so zu erfahren, als wäre er noch mitten unteruns: jung, abenteuerlich und gegen die philisterhafte Müffigkeit auf Erden.

Ich widme dieses, im Sommer 1914 begonnene und Frühjahr 1929 abgeschlossene, Werk meinen Freunden Eddy Smith und Karl Vogt.

Berlin im März 1930 Paul Zech

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