Die Marienballade

Eine Marien-Ballade die Villon ſeiner Mutter für den Sausgebrauch gedichtet hat

¶ Du Himmelskönigin im Gold und Blau der Ewigkeit, du Schmerzensweib und Leid von meinem Leid: nimm meine Stimme gnädig auf zu dir! Ich bin ja nur ein armes Waisenweib, ich krümme mich noch tiefer in den Staub als Wurm und Tier, ich habe solche Angst, in dein Gesicht hinein zu sehn, und kann doch ohne dich nicht einen Schritt weit gehn.

¶ Empfchle mich der Cnade deines Sohnes, tu ihm kund, daß meine Knie vom Beten schon ganz wund geworden sind. Ich will die eingeborne Schuld mit meinem letzten Seufzer büßen, wenn er mir vergibt, wie seinen Feinden er verziehn und den Verräter noch geliebt und aufgehoben hat in Mitleid und Geduld. O Mutter Unser, laß mich nicht so lang im Dunkel stehn, ich kann ja ohne dich nicht einen Schritt weit gehn.

¶ Bin eine alt und grau gewordene Frau und trinke Tag und Nacht den Tränentau der Einsamkeit. Bin keinem mehr was wert und keiner kommt und hebt mich aus dem Elend auf. Du aber stehst so strahlend da im Lauf der ewigen Gestirne… und das Schmerzensschwert in deiner Brust ist lauter Licht. O falt es in mein Flehn und laß mich nicht noch weiter elend gehn.

¶ Oft tönt in meinen Witwenkral Gesang der Nonnen und der Mönche Bußchoral. Im Kloster, ja, da ist das Paradies so nah, und auch der Hölle Feuer angefacht. Das eine macht mich froh in kalter Mitternacht, das andere, mit Blitz und Donnerton, geschah schon tausendmal in mir. Ich aber will noch höher wehn und kann doch keinen Schrit weit ohne deinen Segen gehn.

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